Fantasy erklärt: Die Funktion von Völkern und Rassen in der Fantasy (Folge 6)

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✈️ Fantasy erklärt: Die Funktion von Völkern und Rassen in der Fantasy

Kulturmodell oder Klischee?

Willkommen zur großen Völkerschau

Treten Sie näher, geneigtes Publikum! Hier sehen Sie das sagenhafte Panorama der Fantasyvölker: Stolze Elfen, die nie etwas essen, aber ständig über alles und jeden urteilen; bärtige Zwerge mit Bergbau-Fetisch; und natürlich die dummen Orks, die einzige Spezies, deren Jobbeschreibung nur aus „grunzen und sterben“ besteht.
Seit Jahrzehnten bevölkern sie Romane, Spiele und Serien, und alle tun so, als wäre das ein natürlicher Zustand. Doch Hand aufs Herz: Was ist ein Fantasyvolk anderes als ein Spiegel, den wir mit einem Spitzohr-Filter versehen haben?

Menschen betrachten in einer Ausstellung lebensgroße Figuren von Elfen, Zwergen und Orks, Sinnbild für die klassische Völkerschau der Fantasy.
Die klassische Völkerschau der Fantasy: Elfen hinter Samtseilen, Orks unter strenger Beobachtung. Sehen so tief verankerte Klischees aus?

I. Herkunft: Der genetische Zufall der Mythenschöpfung

Tolkien war kein Rassist, aber er war auch kein Soziologe. Seine „Rassen“ waren literarische Kurzschlüsse zwischen Mythos, Sprache und Weltbild, poetisch gemeint, aber eben auch durchaus biologisch formuliert.
Dungeons & Dragons übernahm das Konzept begeistert und machte daraus Excel-Fantasy: Rassen als Tabellen mit Attributen. Wer Elfe war, bekam +2 auf Geschicklichkeit, wer Ork, +3 auf Aggression.
Das klingt lustig, bis man merkt, dass man gerade ein Gesellschaftsmodell gebaut hat, in dem Genetik Moral ersetzt.

„Willkommen bei Mittelerde’s Next Top Race! Heute im Finale: Schönheit, Langlebigkeit und Arroganz: Elben, ihr seid weiter!“


II. Kultur oder Körper?

Fantasy behauptet oft, Völker seien Kulturmodelle. Doch merkwürdigerweise erkennt man sie immer auf den ersten Blick.
Die Körper sind Botschaften: Elfen = idealisierte Ästhetik, Orks = verdichtete Angst vor dem „Anderen“. Selbst Trolle sind oft nicht mehr als ziemlich verformte Bauern aus dem Nachbardorf.

Dabei steckt in dieser Biologie-Metaphorik ein altes Denkmuster: Ordnung durch Äußerlichkeit. Die Hautfarbe der Orks, die Reinheit der Elfen, die Bärte der Zwerge. alles Marker, die mehr über menschliche Geschichte erzählen als über fiktive Welten.

„In Fantasy gilt häufig: Schönheit ist ein moralischer Wert, Dreck ist eine Weltanschauung.“


III. Das Buffet der Vorurteile

Willkommen in der Fantasy-Klischeeküche:

  • Zwerge: biertrinkende Mittelständler mit Bergbau-Flatrate.
  • Elfen: Vegane Aristokraten mit Lyrikzwang.
  • Orks: proletarischer Bodensatz mit Axt.
  • Menschen: narrative Resteverwertung.

Warum funktioniert das? Weil es bequem ist. Archetypen sind vertraut, Leser finden sich sofort zurecht. Doch jedes Mal, wenn ein Autor wieder einen Zwerg aus dem Schacht zieht, stirbt irgendwo ein Stück Neugier.

„Wenn du schon zehnmal denselben Elfen gelesen hast, erkennst du ihn irgendwann an der ewig gleichen, weichspülten Satzeinleitung.“


IV. Gegenbewegungen: Neue Spezies, neue Geschichten

Zum Glück haben einige Autorinnen und Autoren die alten Schubladen aufgebrochen.

  • The Witcher zeigt, was passiert, wenn man Rassismus in die Weltmechanik integriert. Elfen sind dort nicht edel, sondern verarmt, Kolonialopfer mit Nostalgieambiente.
  • Dragon Age macht’s ähnlich, nur mit mehr Drama und den besseren Frisuren.
  • Tad Williams fragt: Was, wenn „die Anderen“ gar keine Monster sind, sondern nur einen besseren Verlag haben?
  • R. F. Kuang bringt schließlich das akademische Skalpell: Fantasy als Allegorie kolonialer Gewalt, bei der Magie zum historischen Trauma wird.

Das Ergebnis: keine moralische Reinheit, sondern Ambivalenz, endlich!

„Endlich Orks mit Gewerkschaftsausweis. Nur schade, dass der Betriebsrat ständig geopfert wird.“


V. Die Zukunft der Spezies

Fantasy steht an einem Wendepunkt. „Volk“ oder „Rasse“ sind Begriffe aus dem 20. Jahrhundert, die in einer global vernetzten Welt zunehmend absurd wirken.
Moderne Fantasy trennt nicht mehr nach Blut, sondern nach Geschichte: Herkunft als Erzählung, nicht als Erbgut.

Wir erleben neue Formen:

  • Transkulturelle Welten, in denen Herkunft fließend ist.
  • Fluid Species, die ihre Identität selbst definieren.
  • Magische Hybridwesen, die Grenzen überschreiten, statt sie zu hüten.

Vielleicht ist die Zukunft der Fantasy nicht die Rückkehr zu klaren Linien, sondern ihr völliges Verschwimmen.

„Vielleicht haben Elfen spitze Ohren, damit sie endlich mal anfangen, besser zuzuhören.“


VI. Fazit: Zwischen Spiegel und Zerrbild

Fantasy hat uns beigebracht, dass Orks böse sind und dann, dass wir Orks waren.
Die besten Geschichten sind die, die ihre eigenen Völker misstrauisch betrachten. Denn am Ende geht’s nicht um Haut, Form oder Rüstung, sondern um die Frage: Was macht uns menschlich, wenn wir gar keine Menschen sind?

Oder, um es im Stil des Fantasykosmos zu sagen:
„Ein guter Autor kennt die Völker seiner Welt. Ein großartiger fragt sich, wer sie erfunden hat – und warum.“

Eine diverse Gruppe aus Elfen, Orks und Menschen wandert gemeinsam durch eine moderne Fantasy-Stadt – Symbol für die Zukunft des Genres.
Die Zukunft der Fantasy-Völker: Grenzen verschwimmen, Geschichten wachsen zusammen. Würde Tolkien seine Schöpfung noch verstehen?

Cliffhanger

Bevor wir uns also in diplomatische Krisen zwischen Elfen und Orks verstricken, kommt das nächste große Thema:

👉 „Gender, Queerness & Identität in der Fantasy – Von Archetypen bis Subversion.“
Denn wo Völker aufhören, fangen Körper an zu sprechen.


📚 R.F. Kuang – Babel
Eine Fantasy über Sprache, Macht und Kolonialismus, für alle, die glauben, Übersetzung sei keine Waffe.


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