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💔 Was ist eigentlich Romantasy? Wenn Minnesang auf TikTok trifft.

Eine Kulturgeschichte des Glitzer-Schmerzes (mit persönlichem Entzugsplan)
„In many ways, unwise love is the truest love. […] To know the flaws and love them too. That is rare and pure and perfect.“
– Patrick Rothfuss, The Wise Man’s Fear
Romantasy lebt genau von dieser Idee: Die „unwise love“, die törichte, gefährliche, überzogene Liebe. Was bei Rothfuss noch poetisch und vielschichtig klingt, wird im Genre zum Geschäftsmodell: Glitzer, Muskeln, Prophezeiungen – und ein Publikum, das jede Schwäche bereitwillig mitliebt, einerlei wie bedenklich sie auch sein mag.
✨ Prolog der Leidenschaft
Es beginnt mit dem immer gleichen Muster. Zum Beispiel so: Ein finsterer Fremder taucht im Dorf auf, trägt schwarze Kapuze und einen krassen Seelenblick, der von einer Permanent-Nebelmaschine unterstrichen wird. Die Heldin ist sechzehn, neugierig und natürlich „anders als die anderen“. Er darf sie nicht lieben, sie darf ihn nicht lieben – und genau das ist der Plot für mindestens sieben Bände.
So oder ähnlich funktioniert Romantasy, das Genre, das Fantasy zur Telenovela und Liebesromane zum Drachenritt mit gelegentlichen Glitzerwölkchen macht. Millionen Leserinnen versinken darin, und wir fragen uns: Wie konnte es soweit kommen?
🏰 Von Minnesängern zu Mondelfen

Wer glaubt, Romantasy sei ein reines TikTok-Phänomen, hat größere Abschnitte der Literaturgeschichte verschlafen.
- Im Mittelalter sangen Minnesänger von unerreichbarer Liebe: Ritter, Damen, verbotene Gefühle. Heute heißt das „Enemies to Lovers“, nur mit mehr Nebelmaschinen.
- Die Romantik (18./19. Jh.) schob gleich das Übernatürliche nach: Tieck, Hoffmann, Novalis. Hier gibt es Liebe und Gespenst in einem Paket. Romantasy übernimmt das, nur dass die Geister heute immer einen Waschbrettbauch haben.
- Die Brontë-Schwestern perfektionierten im 19. Jahrhundert den „düsteren Herrenhaus-Boyfriend“. Emily Brontës Sturmhöhe ist im Grunde A Court Of Thorns And Roses ohne Ausklappschwingen.
🧛 Moderne Wurzeln: Von Vampiren, die glitzern

- Anne Rice (1976): Vampir Lestat – der erste Untote, der mehr Charisma als Knoblauchphobien hatte.
- Mercedes Lackey (80er/90er): brachte Herzschmerz und queere Romantik in die High Fantasy.
- Stephenie Meyer (2005): Twilight. Vampir + Highschool + Abstinenz = Milliardengeschäft.
- Sarah J. Maas, Cassandra Clare (2010er ff.): Serienmaschinen, die aus jedem Fantasy-Element eine Dreiecksbeziehung pressen.
Heute: Eigene Buchregale, eigene TikTok-Hashtags, eigene Cover-Ästhetik („Mann mit Schwert und Gesichtsausdruck zwischen Verstopfung und Leidenschaft“).
🎲 Klischee-Bingo seit über tausend Jahren
Romantasy lebt von sogenannten „Tropes“ – wiederkehrenden Mustern, die so zuverlässig auftauchen wie der Vollmond hinter dem Liebhaber. Früher nannte man sowas einfach Strickmuster oder Klischee. Aber sei es drum: Wer das Genre liest und liebt, kann praktisch mitspielen beim Trope-Bingo. Und weil diese Muster schon seit Jahrhunderten recycelt werden, sieht das ungefähr so aus:
- Mittelalter: „Du darfst ihn nicht lieben, weil dein Vater es verbietet.“
- Romantik: „Du darfst ihn nicht lieben, weil er nachts den Mond anheult.“
- Romantasy: „Du darfst ihn nicht lieben, weil er ein 300 Jahre alter Drachenprinz mit Sixpack ist.“
💸 Die Ökonomie des Glitzer-Schmerzes
Warum Verlage Romantasy lieben? Das ist ganz einfach zu beantworten. Weil sie hier praktisch ohne unternehmerisches Risiko Geld scheffeln können. Also, das Taschengeld der Klientel wohl in nicht wenigen Fällen. Die Vorteile liegen hier auf der Hand:
- Planbarkeit: endlose Reihen möglich (Kuss in Band 1, Hochzeit in Band 7, Wiedergeburt in Band 12).
- Zielgruppe: jung, konsumstark, memefähig.
- Marketing: BookTok erledigt den Rest – Tränen im Selfie-Modus bringen mehr Verkäufe als jede Feuilleton-Rezension.
Romantasy ist damit das literarische Äquivalent zu Pumpkin Spice Latte: Saisonal, sinnlos süß, und jedes Jahr aufs Neue unvermeidbar.
🚑 Romantasy-Detox: Ausstieg in fünf Schritten

Und was, wenn man merkt: „Hilfe, ich lese schon wieder Fae-Prinzen-Fanfiction um drei Uhr nachts“? Keine Panik – wir haben ein Programm entwickelt, das auch dir helfen wird.
1. Erkenne die Sucht
Wenn du beim Einkaufen hinter jedem Hoodie-Typen „geheimer Werwolfprinz“ witterst, ist es Zeit, ehrlich zu dir zu sein.
2. Reduziere den Glitzer
Tägliche Tolkien-Dosis: eine halbe Seite Silmarillion. Hilft sofort beim Runterkommen – Nebenwirkung: spontane Müdigkeit.
3. Ersatzdrogen
- Grimdark: Gefühle? Fehlanzeige. Dafür Blut, Schmutz und nihilistische Helden.
- Historische Fantasy: Liebe, aber ohne Prophezeiungen.
- Gothic Horror: Irgendwie schon romantisch, aber die Küsse führen hier schnell ins Grab.
4. Selbsthilfegruppen
„Anonyme Romantasy-Leserinnen“ – jeder muss gestehen: „Hallo, ich heiße Lena, und ich habe letzte Nacht Throne of Glass nachgekauft.“
Antwort: „Sei stark, Lena. Lies Michael Moorcock.“
5. Rückfallprävention
- Covers mit Typen ohne Shirt sofort meiden.
- Jedes Mal, wenn dir „Enemies to Lovers“ begegnet, ruf laut: „Minnegesang war zuerst!“
📜 Die wichtigste Frage zum Schluss: Ist Romantasy überhaupt Fantasy?
Für Fans: Ja, weil es Feen, Vampire, Schattenjäger oder Drachenprinzen gibt, also eindeutig fantastische Elemente.
Für Puristen: Nein, weil die Fantasy-Elemente fast immer nur Kulisse sind. Das Worldbuilding ist Staffage für Liebesdrama. Magie, Politik, Mythen? All das ist hier zweitrangig.
Parallele: Letztlich ist alles wie bei Rosamunde Pilcher, nur dass statt Cornwall ein erfundener Wald voller Fae vorkommt.
Wie wir es sehen? In der bildlichen Version: „Romantasy ist so sehr Fantasy wie eine Diskokugel ein Sternenhimmel ist. Die glitzert zwar, aber sie überwölbt keine glaubwürdige Welt.“
Oder in der etwas ironischeren Variante, die aber ziemlich nah dran sein dürfte: „Romantasy ist im Kern kein Subgenre der Fantasy, sondern ein Subgenre der Liebesromane – mit sehr viel dekorativem Nebel.“