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In den Tagen des schwindenden Lichts, als die Erinnerung an die alten Zeiten zu verblassen begann und die letzten Lieder der Sternenfänger nur noch in den Hallen der Gelehrten gesungen wurden, stand Eldranis noch immer, obgleich sein Glanz nicht mehr war wie in den Tagen seiner Jugend.
Weiß und hoch waren einst seine Türme gewesen, gleich den Spitzen der Berge im ersten Schnee des Winters, und ihr Licht hatte weithin geleuchtet über die Ebenen des Nordens. Doch nun waren sie grau und ohne Leben, wie uralte Bäume, deren Saft versiegt ist. Die Magie der gefangenen Sterne, die seit Anbeginn der Stadt ihre Kraft gespendet hatte, schwand dahin, und mit ihr die Hoffnung der Menschen, die unter dem Schatten der Türme wohnten.
In jenen Tagen lebte Tarian, Sohn des Talion, Enkel des Tarondil, der als der Letzte der Sternenfänger bekannt war. Dieses einst hoch respektierte Geschlecht, in dem die Kunst des Sternenfangens immer von Vater zu Sohn weitergegeben wurde, wurde gerühmt und besungen in allen Landen von Eldranis bis hin zu den Klippen des fernen Frostmeeres.
Auf der windumtosten Plattform des höchsten Turmes stand er nun, sein Antlitz von den Stürmen der Zeit gezeichnet wie eine steinerne Statue, und sein Blick war nach Osten gerichtet, wo die Sterne ihr ewiges Licht über die Welt ausschütteten.
In Tarians Händen ruhte das Netz aus Lunarsilber, ein Erbe aus alten Tagen, als die Sterne noch zahlreich fielen und die Menschen von Eldranis die Geheimnisse des Himmels zu verstehen glaubten. Das Netz war ein wahres Wunderwerk, geschaffen von den Händen seiner Vorfahren in den Tagen, als die Welt jung und die Sterne ihr noch nah waren. Das Gewebe, feiner als Spinnenseide und stärker als die Klinge des mächtigsten Kriegers, schimmerte im Licht des Mondes wie Wasser in einer sternenklaren Nacht.
Sieben Jahre und sieben Monate waren vergangen, seit der letzte Stern vom Himmel gefallen war, und Eldranis siechte dahin, einem uralten Greis gleich, dessen Lebenskraft nach und nach in den grauen Böden der Zeit versickerte. Die Lichter in den Häusern der Menschen wurden schwächer, und Kälte kroch durch die Straßen wie ein unsichtbarer, doch stetiger Hauch, der das Kommen eines eisigen Todes zu verkünden schien.
Tarian hob seinen Blick zum Himmel und sprach leise Worte, die der Wind davontrug:
„Elbereth Gilthoniel, Sternenzünderin, höre mein Gebet. Sende uns ein Licht in der Dunkelheit, ein Zeichen der Hoffnung für die, die zu einem Leben unter dem Schatten verflucht wurden.“
Lange stand er so, und die Sterne schienen kalt und fern, als hätten sie die Geschicke der Menschen vergessen. Doch dann, als die Mitternacht nahte und der Mond hinter Wolken verschwand, geschah etwas, das seit ferner Zeit nicht mehr geschehen war.
Ein Lichtstrahl zerriss das Firmament, heller als die Sonne selbst, und für einen Augenblick wandelte sich die finstere Nacht zum gleißend hellen Tag. Tarian hob schützend seine Hand, geblendet von dem plötzlichen Glanz, der den gesamten Himmel ausfüllte.
Als er wieder sehen konnte, erblickte er etwas, das sein Herz mit Ehrfurcht und Staunen erfüllte. Kein Stern war es, der da vom Himmel fiel, sondern ein Wesen aus reinem Licht und von betörender Schönheit. Seine Gestalt war schlank und hoch, wie die der alten Könige in den Liedern, und um seine Schultern wogten Flügel aus lebendigem Licht, die bei jedem Schlag goldenen Staub verstreuten. Sein vollendetes Antlitz strahlte schmerzhaft hell und die Augen schienen die unendlichen Tiefen des Kosmos widerzuspiegeln.
Doch selbst in all dieser Pracht sah Tarian, dass das Wesen verletzt war. Seine Flügel schlugen unregelmäßig, und aus seiner strahlenden Form rannen goldene Nebelschlieren wie Blut aus einer Wunde. Es schwebte vor ihm, zitternd wie ein Blatt im Wind, und dann hörte Tarian eine Stimme, nicht in seinen Ohren, sondern tief in seinem Geist: „Hilf mir, Sohn der Menschen. Die Jäger des Schattens sind mir auf den Fersen, und meine Kraft schwindet.“
Die Stimme war wie das Rauschen eines fernen Wasserfalls, wie das Flüstern der Sterne selbst, und Tarian wusste, dass er ein Wesen aus einer anderen Welt vor sich hatte, älter als die Berge und weiser als die Weisesten seines Volkes. Er hob sein Netz, doch seine Hände zögerten. All die Jahre hatte er auf einen fallenden Stern gewartet, um das Licht nach Eldranis zurückzubringen. Doch dieses Wesen war kein Stern, den man einfangen und seiner Kraft berauben konnte. Es war Leben, es war Bewusstsein, es war eine Seele des Himmels selbst.
Bevor er eine Entscheidung treffen konnte, erzitterte der Boden unter seinen Füßen, und dunkle Gestalten glitten über die Plattform wie Schatten in der Dämmerung. Es waren die Schattenjäger des Ordens von Astralys, gekleidet in silberne Rüstungen, die das Licht nicht widerspiegelten, sondern verschluckten. Ihre Gesichter waren verborgen hinter Helmen ohne Augen, und an ihrer Seite trugen sie lange Schwerter aus einem Metall, schwärzer als die Nacht selbst.
Ihr Anführer trat vor, und seine Stimme war kalt wie der Wind, der über die Gräber der Vergessenen weht: „Tarian, Sohn des Talion, tritt beiseite. Das Wesen gehört uns, und durch seine Kraft wird Eldranis wieder erstrahlen wie in den Tagen seiner Jugend.“
Tarian sah die Schattenjäger an, dann das Wesen aus Licht, das zitternd vor ihm schwebte. Er spürte die Angst des Wesens, spürte seine Verzweiflung, und in diesem Moment verstand er die Wahrheit, die all die Jahre vor ihm verborgen gewesen war. Die Sterne waren keine leblosen Lichter am Himmel, keine Quellen der Magie, die man nach Belieben nutzen konnte. Sie waren Lebewesen, so alt wie die Welt selbst, und das Volk von Eldranis hatte sie seit Jahrhunderten gefangen und ihrer Kraft beraubt.
Mit einer einzigen, fließenden Bewegung riss Tarian sein Netz entzwei, zerbrach das Erbe seiner Vorfahren, das seit Generationen von Hand zu Hand gegangen war. Die silbernen Fäden lösten sich in einem Sturm aus Licht auf, und für einen Augenblick war die Plattform in gleißende Helligkeit getaucht.
„Flieh!“ rief er dem Wesen zu, während er sich schützend vor es stellte. „Kehre zurück zu deinem Volk, zu den Sternen, wo du hingehörst!“
Die Schattenjäger zogen ihre Schwerter, und die Klingen schienen das Licht um sie herum zu verschlucken. Ihr Anführer hob die Hand zum Angriff, doch in diesem Moment geschah etwas Unerwartetes.
Das Wesen aus Licht erhob sich in die Luft, seine Flügel nun weit ausgebreitet, und ein Strom reiner Energie ergoss sich über die Plattform. Die Schattenjäger wichen zurück, geblendet von dem plötzlichen Glanz, und Tarian spürte, wie eine Welle göttlicher Macht durch seinen Körper strömte.
In diesem Augenblick sah er alles – die Geschichte seines Volkes, die wahre Natur der Sterne, die Geheimnisse des Kosmos. Er sah, wie die ersten Sternenfänger in ihrer Gier die Himmelswesen gefangen hatten, wie sie ihre Kraft gestohlen hatten, um ihre Stadt zu erleuchten. Er sah den Schmerz der Sterne, ihre Trauer über die Verblendung der Menschen. Und er sah einen anderen Weg – einen Weg des Gleichgewichts, des gegenseitigen Gebens und Nehmens, auf dem die Menschen und die Sterne in Harmonie leben konnten.
Als die Vision verblasste, hielt Tarian etwas in seiner Hand – einen leuchtenden Kristall, warm und pulsierend wie ein Herz. Es war kein gestohlener Stern, sondern ein Geschenk, gegeben aus freiem Willen. Das Wesen aus Licht schwebte nun hoch über ihnen, sein Glanz wieder stark und stetig. Es neigte den Kopf zum Abschied, und in Tarians Geist erklang ein letztes Mal seine Stimme:
„Du hast dich für den schwierigeren Weg entschieden, Tarian, Sohn des Talion. Doch es ist der einzig wahre Weg. Bewahre diesen Kristall, mein Geschenk an dich und dein Volk. Er wird euch lehren, wie ihr mit den Sternen leben könnt, ohne sie zu versklaven. Und wenn die Zeit reif ist, werde ich wiederkehren, und wir werden gemeinsam die Brücke zwischen Himmel und Erde neu errichten.“
Mit diesen Worten stieg das Wesen höher und höher, bis es nur noch ein Lichtpunkt am Himmel war, nicht zu unterscheiden von den anderen Sternen. Doch dann geschah etwas Wundersames – der Punkt wurde heller und heller, bis er strahlte wie eine zweite Sonne in der Nacht.
Der Anführer der Schattenjäger hatte seinen Helm abgenommen, und sein Gesicht war bleich vor Erstaunen. „Was hast du getan?“ fragte er mit zitternder Stimme.
Tarian sah hinauf zu dem neuen Stern, der am Himmel leuchtete, und ein Lächeln erhellte sein Gesicht.
„Ich habe einen besseren Weg gefunden“, sagte er leise. „Einen Weg, der nicht auf Raub und Gewalt beruht, sondern auf Verständnis und Freundschaft.“
Er hielt den Kristall hoch, und sein Licht strömte über die Plattform, über die Türme von Eldranis, über die ganze Stadt. Und überall, wo das Licht hinfiel, erwachten die alten Steine zu neuem Leben, nicht mit dem kalten Glanz geraubter Magie, sondern mit dem warmen Schimmer frei gegebener Kraft.
So begann eine neue Ära für Eldranis, eine Zeit der Erneuerung und des Wandels. Und Tarian, der letzte der Sternenfänger, wurde zum ersten der Sternwächter, die nicht mehr jagten, sondern behüteten, nicht mehr nahmen, sondern als Geschenk empfingen. Und der neue Stern am Himmel, den die Menschen den Freundschaftsstern nannten, leuchtete heller als alle anderen, ein ewiges Zeichen des Bundes zwischen den Kindern der Erde und den Kindern des Himmels.

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