Schattenkrieger

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Man sagt, der alte Mann im Nordkloster habe keinen Schatten.
Doch das stimmt nicht.
Denn er fand ihn wieder. Auch wenn er das niemals wollte.
Und das ist seine Geschichte.

Er hieß einst Thavenn, und wo sein Name fiel, starben ganze Städte.
Er war einer der großen Krieger des Südens, hart gezüchtet, um Eide abzulegen, die niemals gebrochen werden dürfen.
Er tötete präzise, geräuschlos und schnell – doch nie aus Hass, nie aus Wut.
Er tötete, weil seine Eide es von ihm verlangten.

Und immer fiel sein Schatten zuerst auf diejenigen, die zu seiner Beute wurden.
Auf Wangen, auf schreckgeweitete Augen, auf flehend emporgereckte Hände.
Ein dünner dunkler Umriss, der immer das Erste war, das seine Opfer berührte.

Eines Tages tötete er ein Kind. Nicht aus Versehen und nicht weil der Befehl so lautete. Er tat es, weil dieses kleine Mädchen – kaum älter als sechs Sommer – die letzte Zeugin war. Sie hatte sich unter einem umgestürzten Karren versteckt und ihn mit großen, dunklen Augen angestarrt, während sein Schatten auf sie fiel. Stumm. Vertrauend. Als könne sie nicht begreifen, was gleich geschehen würde.

Er floh. Nicht vor seinen Feinden – solche Angst kannte er nicht. Er floh vor dem Bild jener kleinen Hände, die sich schützend vor das Gesicht gehoben hatten. Vor dem Klang ihrer letzten Worte: ‚Bitte nicht.‘ Hass und Ekel trieben ihn, nicht gegen andere, sondern gegen sich selbst.

In einem verlassenen Tal kniete er schließlich nieder und sprach:

„Ich schwöre dir ab, mein Schatten.
Kein Licht soll dich mehr berühren.
Ich werde so leben, dass du stirbst.“

Und so lebte er weiter.
Er mied die Sonne.
Er ging nur bei Dämmerung, stand nur in geschlossenen Räumen, schlief auf der rechten Seite, stellte nie eine Kerze hinter sich.
Er lernte, wie man unsichtbar wird. Unsichtbar nicht für das Auge, sondern für das Licht, das diesen bösartigen Schatten gebar.

Die Jahre vergingen. Zwanzig. Dreißig. Er wurde ein alter Mann im braunen Habit der Mönche. Seine Hände zitterten, seine Knochen schmerzten, aber sein Geist fand langsam Frieden. Er lehrte die Novizen zu schreiben, pflegte die Kranken, betete bei den Sterbenden. Und der Schatten blieb fort. Manchmal glaubte er sogar, das Gesicht des Kindes vergessen zu haben.

Bis zu jenem Abend.

Ein Novize brachte ihm Wasser. Ein junger, ungeschickter Novize.
Er stieß das Öllicht in seinem winzigen, zellenartige Raum um.
Die Schale rollte, das Öl floss, und eine Flamme entfachte sich hinter ihm – mit einem bösen Zischen.

Und da war er. Der Schatten. Dünn, ausgezehrt, als wäre er lange Zeit krank gewesen – aber da. Und zum ersten Mal seit Jahrzehnten erkannte Thavenn die vertraute Gestalt: schmal, mit der Haltung eines Kriegers. Genau wie er selbst einst gewesen war.

Und da war er. Der Schatten. Dünn, ausgezehrt, als wäre er lange Zeit krank gewesen – aber da. Und zum ersten Mal seit Jahrzehnten erkannte Thavenn die vertraute Gestalt: schmal, mit der Haltung eines Kriegers. Genau wie er selbst einst gewesen war.
Er fiel an die Wand – und hob die Hand in seine Richtung, obwohl seine eigene Hand zu Boden wies.

Dann erfüllte eine Stimme aus reiner Dunkelheit den Raum. Es war seine eigene Stimme – aber kälter, älter, und schwer von allem, was er getan hatte.

„Ich war Zeuge bei jedem deiner Morde,“ sagte der Schatten. „Ich erinnere mich an jedes Gesicht. Und nun werde ich dich begleiten, so wie du mich einst verlassen hast.“

Thavenn fiel auf die Knie. Seine Stimme brach, als er flüsterte: „Ich habe doch geschworen… Ich dachte, ich hätte dich getötet. Ich dachte, ich wäre frei.“ Tränen liefen über seine eingefallenen Wangen – die ersten seit dreißig Jahren.

Doch der Schatten lachte nur, finster und dröhnend. Dann antwortete er:

„Und ich war nicht dein Eid, sondern dein Gewissen. Immer war ich schneller als deine Klinge – ich fiel auf ihre Gesichter, bevor du zugeschlagen hast. Ich wollte, dass du ihre Augen siehst. Dass du erkennst, wen du tötest. Aber du hast nicht verstanden, dass ich dich aufhalten wollte.“

Seitdem lebt im Nordkloster ein alter Mann, der niemals mehr das Licht meidet. Er geht mit Kerzen durch die Nacht, sitzt im hellsten Sonnenschein des Innenhofs, trägt stets eine kleine Laterne bei sich. Als wolle er seinen Schatten ehren – oder als fürchte er, ihn noch einmal zu verlieren.

Sein Schatten ist immer bei ihm – lang, lauernd, und manchmal schneller, als er selbst geht.

Die Jüngeren nennen ihn – flüsternd, hinter vorgehaltener Hand – den Schattenkrieger. Denn sie haben verstanden: Manche Schatten kann man nicht abschütteln. Man kann nur lernen, mit ihnen zu leben.

Ein alter Mönch kniet in einer düsteren Steinkammer vor einer Wand, auf der sich sein Schatten in die finstere Silhouette eines Kriegers mit erhobener Hand verwandelt hat. Über dem Schatten leuchten geheimnisvolle Runen in bläulichem Licht. Eine Öllampe zwischen Mönch und Wand wirft das übernatürliche Schattenspiel. Die Szene wirkt mystisch und symbolträchtig – ein Moment der Reue, Magie oder innerer Zwiesprache.

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