Mor’Zeghoul: Die Saat der Schwarzen Erde

🔍 Suche im Fantasykosmos

Spüre verborgene Pfade auf, entdecke neue Werke oder durchstöbere das Archiv uralter Artikel. Ein Wort genügt – und der Kosmos öffnet sich.


Ich habe nie geglaubt. Nicht an Götter. Nicht an Geister. Und ganz sicher nicht an den verfluchten Mor’Zeghoul.

Doch dann kamen wir in das Land mit dem schwarzen Boden. Und ich schwöre bei allem, was mir noch geblieben ist: Ich habe nie wieder einen Schritt darauf gesetzt.

Wir waren sechs. Söldner, keine Ritter. Wir trugen reichlich Elfengold, angenehm schwer in unseren Beuteln. Wir hatten es einem alten Tempel im Westforst abgenommen. „Abgenommen“ bedeutete: Wir hatten das halbe Heiligtum niedergebrannt, Priester geköpft, Wächter erschlagen. Und ein Kind mitgenommen. Nur zum Spaß. Vielleicht, um es später zu verkaufen. Oder weil Rann, der Älteste von uns, selbst mal einen Sohn verloren hatte. Zumindest behauptete er das, wenn der Wein ihn weich machte.

Der Junge sprach kein Wort. Elfenblag, vielleicht fünfzig Jahre alt – kaum älter als ein Menschenkind mit fünf Sommern. Zierlich, mit viel zu großen Augen, die alles sahen und nichts preisgaben. Er hatte überlebt, weil ihn keiner von uns für gefährlich hielt.

Der Boden wurde dunkler, je tiefer wir ins Ödland kamen. Risse durchzogen ihn wie schwarze Brandnarben. Kein Grün. Kein Laut. Nur Fliegen, die träge über der toten Erde kreisten.

„Mor’Zeghoul hat hier sein Reich“, sagte Yarrick eines Abends am Feuer. Der Trinker unserer Truppe, immer gut für eine Geschichte, wenn die Flasche geleert war. Er lachte dabei, aber es klang hohl. „Kennt ihr nicht die Geschichte? Der Elfengott. Der Gestaltwandler. Der unter der Erde liegt und wartet. Alt wie die Finsternis selbst. Hört jeden Schritt, sagen sie.“

„Hört er auch den Furz deines Pferdes?“, rief Brugg – der Grobian, dem Gewalt lieber war als Nachdenken. Alle lachten. Said kicherte nervös, wie er es immer tat, wenn ihm etwas Angst machte.

Nur der Kleine nicht.

Er starrte in die Glut. Und flüsterte etwas. Ich konnte es kaum hören, aber ich schwöre, es klang wie: „Er weiß, dass ihr kommt.“

In der ersten Nacht verlor sich Rann.

Am Morgen fanden wir seine Kleidung ordentlich gefaltet, das Schwert daneben. Und Haut. Nur Haut, wie einen abgelegten Mantel. Kein Blut. Keine Knochen. Kein einziger Tropfen Leben.

„Vielleicht war’s ein Tier“, meinte Yarrick, aber seine Stimme zitterte. Die Pferde waren schweißnass vor Angst. Und der schwarze Boden unter Ranns Lagerplatz war… anders. Nicht weich. Nicht fest. So eigenartig nachgiebig, als würde etwas darunter atmen.

Wir zogen weiter. Was blieb uns anderes übrig?

Der Junge wurde nicht müder. Nicht hungriger. Seine großen Augen folgten uns, aber sein Gesichtsausdruck blieb unverändert. Als wäre er nicht wirklich da, sondern nur ein Schatten, der uns begleitete.

Yarrick begann zu trinken. Mehr als sonst. Said und Brugg gerieten aneinander – erst um Nichtigkeiten, dann um alles. Und ich… ich schlief kaum noch. Immer, wenn ich döste, hörte ich Kratzen. Schaben. Irgendwo tief unter meinen Füßen, als würden Fingernägel über Stein gleiten.

Am vierten Abend erzählte ich die Legende. Vielleicht, um die Stille zu brechen. Vielleicht, um meine eigene Angst zu bannen.

Mor’Zeghoul, der Gefallene. Einst ein Elfenkönig von unbändiger Macht, der seine Feinde nicht nur tötete, sondern verschlang – ihre Erinnerungen, ihre Gestalten, ihre Seelen. Er lebte in tausend Körpern weiter, bis die Götter selbst ihn fürchteten. Sie verfluchten ihn, bannten ihn in die tiefsten Abgründe der Erde. Aber nicht getötet. Niemals getötet. Denn was einmal so viele Leben in sich trug, konnte nicht einfach sterben.

„Ein Märchen“, sagte Brugg, aber er spuckte dabei ins Feuer.

„Eine Warnung“, antwortete ich. Und dann, von einem plötzlichen Impuls getrieben, fragte ich den Jungen: „Wie ist eigentlich dein Name?“

Er sah mich an. Seine Augen… pechschwarz. Kein Glanz. Kein Weiß. Löcher in seinem Gesicht, die in eine Leere führten, die älter war als alle Zeit.

Dann lächelte er. Vielzahnig, finster, so als hätte sich neben uns ein Schlund in der Erde geöffnet. Und sagte mit einer Stimme, die plötzlich alt und erdig klang, wie das Flüstern von Särgen: „Mor’Zeghoul.“

Die Verwandlung war laut und abscheulich. Fleisch platzte auf wie überreife Frucht. Knochen knackten und wuchsen. Der Junge zitterte nicht; er explodierte förmlich aus seiner eigenen Haut. Die neue Gestalt war grau wie alter Stein, mit Gliedern zu lang für jeden natürlichen Körper. Der Schädel… ein Helm aus schwarzen Dornen, aus dem nun tote Augen zu starren schienen.

Brugg zog sein Schwert, aber Mor’Zeghoul war schneller. Zerbrach ihn zwischen seinen Fingern wie einen Zweig, nicht boshaft, fast beiläufig. Said rannte, kam drei Schritte weit, bevor der Boden sich öffnete wie ein hungriger Schlund und ihn verschluckte.

Yarrick betete. Zum ersten Mal in seinem verfluchten Leben. Es half nichts. Die langen Finger fanden ihn trotzdem.

Ich bin der Letzte. Ich habe mich nicht gewehrt. Ich habe nur zugesehen, wie er sich langsam zurückverwandelte, die monströse Gestalt wieder in sich zusammenfalten ließ, bis nur noch das Kind übrig war. Er spuckte auf das Elfengold, das daraufhin schmolz und zischend im Boden versickerte – als wäre es nie mehr gewesen als billiges Metall.

Dann sah er mich an. Nicht feindselig. Nicht grausam. Einfach nur… wissend.

„Du darfst gehen“, sagte er mit der Stimme des Kindes. „Aber denke immer daran: Der schwarze Boden vergisst nicht. Und das gilt auch für mich, denn ich werde aus ihm geboren.“

Damit versank er. Einfach so. Als wäre er nie da gewesen.

Manchmal, wenn ich schlafe, höre ich ihn noch immer. Ein Flüstern aus der Tiefe: „Der schwarze Boden vergisst nicht.“ Und ich glaube ihm jedes Wort.

Deshalb erzähle ich diese Geschichte. Nicht als Warnung – dafür ist es zu spät. Sondern damit jemand weiß, warum ich nie wieder einen Schritt auf schwarze Erde setzen werde. Und warum ihr es auch nicht solltet.

Wenn ihr klug seid.

Ein gesichtsloser Fremder in zerschlissenem Umhang steht vor einer einsamen Hütte im Zwielicht. Aus der Tür schaut eine Frau in Sorge, während hinter dem Fremden ein toter, knorriger Baum in den Nachthimmel ragt. Die Szene wirkt unheilvoll und still – wie ein Augenblick kurz vor einem grausamen Handel.

Dir hat diese Story gefallen? Du findest bei uns laufend neue Fantastic Shorts aus den Federn unserer Autoren. Du möchtest ein wenig mehr über die Geschichte hinter den Geschichten wissen: Dieser tolle Artikel über Fantasy öffnet dir die Augen.

Verfluchter Grußkartenbriefkasten in Grabsteinform, umrankt von Dornenranken, mit skelettierter Hand, die eine „Cursed Greeting“-Karte übergibt – ein Rabe fliegt im Mondlicht darüber hinweg.