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Das Gasthaus zum Schwarzen Wegstein
Ein Protokoll in sieben Stimmen
1) Aus dem Gästebuch der Schenke „Zum Schwarzen Wegstein“
(Handschrift der Wirtin Mara, datiert auf die Nacht vor dem Vorfall)
„Regeln des Hauses (für Fremde):
- Der Stuhl neben der Tür bleibt frei.
- Niemand fragt, für wen.
- Wer nach Mitternacht ankommt, zahlt sein Getränk vor dem ersten Schluck.
Heute eingetroffen:
– Karrenführer Oswin (Salz & Leder)
– Zöllner Darek (Strecke Südtor)
– Sänger Kalo (Laute defekt, Stimme scheins Ordnung)
– Straßenwächter Iban (Wechselposten)
– Eine Frau mit grauem Mantel, nannte keinen Namen, bezahlte mit altem Kupfer
Notiz: Der Wind stand aus Osten, aber die Glocke an der Traufe schlug nicht. Das Feuer im Kamin zog schlecht. Der Stuhl blieb leer. Wie es sich gehört.“
2) Aussage des Straßenwächters Iban
(aufgenommen vom Kreisvogt, zwei Tage später)
„Ich war nur wegen des Regens da, Herr. Die Wegekasse war feucht, ich musste sie ins Trockene bringen.
Ich weiß, was man über die Schenke sagt. Ich halte mich selbst nicht für abergläubisch. Aber den Stuhl neben der Tür rührt hier niemand an, das stimmt wohl.
Gestern Nacht? Ruhig. Oswin würfelte mit dem Zöllner, der Sänger stimmte ein Lied an, das er nicht zu Ende brachte. Die Frau im grauen Mantel saß an der Wand, Blick zum Fenster, als ob sie jemanden erwartet hätte.
Kurz vor Morgengrauen roch es nach nassem Eisen. Nicht nach Rauch, nicht nach diesem Küchenmief. Nach Metall.
Da fing der Stuhl an zu glimmen. Nein, wie ich schon sagte: Keine Flamme, das war Glut. Als ob Glut von innen sich durch das Holz drückte.
Ich wollte Wasser holen. Mara hielt mich zurück. ‚Wart ab‘, sagte sie. ‚Das ist nicht unser Feuer.‘
Als die Sonne den Wegstein traf, stand der Stuhl plötzlich in Brand. Ein einziger Schlag, hell wie ein Schmiedfunken, dann war es vorbei. Kein Ruß, keine Asche am Boden. Der Stuhl stand noch. Schwarz, aber ganz.
In dem Moment ging die Tür auf. Die Frau im grauen Mantel war fort.“
3) Bericht des Karrenführers Oswin
(eigenhändig, sind das dort ernsthaft Bierflecken auf dem Dokument?)
„Ich hab genug Nächte auf Straßen verbracht, um zu wissen, wann was nicht stimmt. In der Schenke war’s zu still. Keine Mücken. Keine Hunde. Nichts! Das ist nicht normal.
Ich hab auf den Stuhl gestarrt, wie jeder Fremde. Er steht da, als würd er wen erwarten. Ich hab Witze gemacht, die Einheimischen lachten aber nicht.
Als das Ding brannte, brannte nix außenrum. Das Holz war schwarz wie Pech und blieb doch ganz. Ich hab mit dem Finger danach getippt. War kalt.“
4) Eintrag des Zöllners Darek
(Abschrift aus seinem Dienstheft)
„Kontrollgang an der Reichsstraße endete am Gasthaus zum Schwarzen Wegstein. Wirtin Mara bestätigt drei Fremde, eine Ortskundige (vermutlich), einen Straßenwächter. Keine Unregelmäßigkeiten.
Persönliche Anmerkung (nicht amtlich): Das Feuer am Stuhl hat stattgefunden, bezeugt von fünf Personen. Keine Brandquelle. Kein Zug im Kamin. Fensterschieber geschlossen.
Ich vermute einen Scherz mit Brandpulver oder eine Dachleitungsentladung. Dennoch: Zeitgleich fand Wächter Iban am Wegstein eine Leiche (siehe Bericht des Kreisvogts). Korrelation? Unklar.“
5) Fragment eines Liedes, notiert vom Sänger Kalo
(Rückseite einer komplett unleserlichen Quittung. Wer schleppt sowas mit sich herum?)
„Wo die Straße endet, sitzt ein Wort,
das niemand sprechen kann.
Der Stuhl bewahrt den letzten Ort,
die letzte Reise hier begann.
Und brennt er kurz, vor Morgenlicht,
dann brennt er ohne Glut.
Den Schritt zu weit verzeiht er nicht,
und Stein verlangt dein Blut.“
(Anmerkung des Sängers darunter: „Ich habe das Lied dort gehört, nicht erfunden. Das kann ich beschwören.“)
6) Aussage der Wirtin Mara
(zweite, ausführlichere Befragung)
„Der Stuhl ist älter als die Schenke selbst. Mein Großvater baute um ihn herum. Aus Achtung. Oder aus Angst, fragt mich nicht.
Er besteht aus Eichenholz von der alten Richtstätte am Ende der Straße. Man hat die Balken nach Aufhebung der Strafe verkauft; einer davon wurde zum Stuhl. Mein Großvater sagte: ‚So sitzt die Schuld jetzt drinnen und steht nicht mehr draußen, um jeden anzustarren.‘
Wir lassen ihn frei. Immer. Es ist Brauch. Nicht, weil er einem Toten gehört. Weil er dem Weg gehört.
Manchmal setzt sich wer hin, Fremde, die den Brauch nicht kennen. Dann wird der Abend lang. Keiner geht. Und irgendwann stehen alle auf, als hätte einer das Wort gegeben, und stellen den Stuhl zurück. Keiner weiß, wer es war.
In Nächten wie dieser ist er leer. Und wenn er leer bleibt, brennt er im Morgen.
Was das bedeutet?
Dass einer den Wegstein übertritt, der es nicht soll.“
7) Amtsvermerk des Kreisvogts Ralwen, mit Anhang
(amtliche Sprache, Folgetag)
„Am Morgen des 4. Tags im Monat Sichel wurde am Schwarzen Wegstein der Reichsstraße eine weibliche Leiche aufgefunden, Alter ca. 30–40 Sommer, Bekleidung grauer Mantel, Stiefel genagelt. Keine äußeren Verletzungen. Haut an Handflächen und Fußsohlen zeigt schwarze Linien, verlaufen netzartig, vergleichbar Brandmal, jedoch ohne Blasenbildung oder Geruch. Augen geöffnet, Pupillen erweitert.
Kein Ruß in Lunge (nach einfachem Test), keine brandtypischen Verfärbungen an Kleidern.
Kein Dokument mit Namen auffindbar. Münzen in Kupfer (3), Messer (stumpf), kein Reisegepäck.
Die Wirtin des Gasthauses bestätigte, dass eine Frau mit grauem Mantel die Schenke in der Nacht besuchte und vor Morgengrauen verlassen habe. Zeitgleich berichteten mehrere Zeugen von einem kurzzeitigen Aufflammen des sogenannten ‚Stuhls‘ im Schankraum.
Anmerkung (außerhalb des Protokolls): Das Holz des Stuhls weist oberflächliche Schwärzung auf, keine Wärme, keine Korrosion, keine Asche. Bei Druck mit dem Daumen spürte der Unterzeichner ein Vibrieren, als läge eine ferne Straße im Holz. Bessere Beschreibung hierfür nicht gefunden.
Verfügung: Leichnam am alten Richtplatz beisetzen, bis Identität geklärt. Stuhl bis zur Klärung nicht entfernen. Gerüchte über Schwarzen Wegstein und natürliche Ursachen znterstreichen. So möglichst tieferen Aberglauben verhindern.“
Nachtrag: „Die kleine Chronik des Wegsteins“
(verfasst vom Dorfschreiber Jorin, drei Tage später)
„Ich schreibe dies, weil der Kreisvogt es verlangt und weil Reisende danach fragen.
Der Schwarze Wegstein markiert das Ende der Reichsstraße. Danach beginnt nichts Offizielles, nur Pfade und Wetter.
Früher stand hier der Galgen. Als die Strafe abgeschafft wurde, hat man den Galgen zerlegt. Ein Balken – die Sitzleiste – ging an den Großvater der Mara. Der Stuhl wurde daraus gebaut. Ich war dabei.
Seitdem gibt es zwei Regeln:
- Wer nachts ankommt, darf sitzen, aber nicht dort.
- Wer bei Morgengrauen gehen will, schaut zuerst den Wegstein an.
Man sagt: Der Stuhl brennt im Morgen, wenn die Straße sich einen Reisenden nimmt, der keinen Tag mehr hat.
Es ist keine Strafe. Es ist eine Regel.
Dass die Frau im grauen Mantel tot war, bevor jemand wusste, wer sie war, passt dazu.
Manche behaupten, der Stuhl wähle. Unsinn. Der Weg wählt. Der Stuhl zeigt nur an.“
Letzte Notiz (vom Kreisvogt handschriftlich auf den Aktendeckel gesetzt)
„Der Wegstein ist kein Stein. Er wurde aus derselben Eiche gehauen wie der Galgen war. Ich hatte diesen Verdacht schon länger. Im Angesicht der jüngsten Ereignisse habe ich dann endlich die Jahresringe gezählt, die Muster stimmen überein.
Vielleicht ist die Logik dieser Dinge einfacher, als wir meinen:
Der Weg endet.
Die Schuld bleibt.
Das Holz merkt sich beides.
Solange niemand den Stuhl nimmt, bleibt die Ordnung.
Wer sie bricht, wird lernen, was eine letzte Meile ist.“
Anmerkung des Herausgebers:
Viele Stimmen dieser Chronik widersprechen einander im Ton, nicht jedoch in ihrem Kern. Unstrittig bleibt hier:
- Der Stuhl blieb die Nacht über leer.
- Er glimmte vor Sonnenaufgang und zeigte eine kurze, kalte Flamme im ersten Licht.
- Eine Frau im grauen Mantel verließ den Schankraum kurz zuvor.
- Ihr Körper lag am Meilenstein ohne Brandrauch, aber mit netzartigen Schwärzungen an Händen und Füßen, als habe Etwas sie durchströmt.
- Der Stuhl ist aus dem Holz des alten Galgens, der Meilenstein aus derselben Eiche gehauen.
- Seit jener Nacht setzt man die Zeilen „Regeln des Hauses“ oben im Gästebuch fett und schreibt darunter:
„Der Stuhl gehört allein dem Weg.“

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