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Fantasy History (15): Die Neunziger – Magischer Realismus trifft Marktlogik
„Fantasy lets us look at the world through new eyes. It offers us the possibility of change.“
– Robin Hobb, Interview mit Locus Magazine, 1998
Magie weht aus neuen Himmelsrichtungen.
Während sich der Westen noch über den Fortgang der Tolkien-Tradition den Kopf zerbricht, haben andere längst begonnen, das Genre umzupflügen. Die 1990er-Jahre markieren eine doppelte Bewegung: eine Erweiterung der Fantasy nach außen – geografisch, kulturell, ästhetisch – und zugleich eine kommerzielle Einhegung von innen. Zwischen Boom und Beliebigkeit, zwischen poetischer Vielfalt und Publisher-Kalkül, entstehen Werke, die bis heute nachwirken – manchmal leise, manchmal mit lautem Donnerhall.

Neue Stimmen, neue Welten
In den 90ern öffnet sich die Fantasy endlich der Welt – nicht mehr nur im Sinne exotischer „Settings“, sondern durch neue Perspektiven. Autorinnen wie Nalo Hopkinson, Tananarive Due, Salman Rushdie (ja, auch er!) oder Alice Hoffman bringen kulturelle Hybridität, Spiritualität und politische Subtexte in den literarischen Zauberkreis. Gleichzeitig mischen sich lateinamerikanische Einflüsse hinein: Magischer Realismus ist kein importiertes Stilmittel mehr, sondern wird zur Inspirationsquelle, zur Haltung – zur Einladung, das Unmögliche ganz selbstverständlich in den Alltag tropfen zu lassen.
Feministische Fantasy? Aber ja!
Die 90er erleben eine neue Generation weiblicher Erzähler, die sich nicht mehr entscheiden wollen zwischen Heldinnenreise und kritischem Subtext. Robin Hobb mit ihren verletzlichen Protagonisten, Juliet Marillier mit Märchenadaptionen voll innerer Stärke, Patricia A. McKillip mit ihren poetischen, labyrinthischen Texten: Sie alle schreiben gegen das Klischee an – und erschaffen gleichzeitig neue. Und Terry Pratchett, ewiger Spötter, liefert mit seinen Hexen-Romanen eine der klügsten und liebevollsten Dekonstruktionen weiblicher Rollenbilder der Popkultur. Ja, ausgerechnet ein Mann.
Der Markt als Mitspieler
Doch so inspirierend viele Werke der Dekade auch sind: Die 90er sind auch das Jahrzehnt der Reihenproduktion, der Cover-Klone und der Marketinglogik. Mit dem Erfolg von Serien wie Die vergessenen Reiche, Dragonlance und zahllosen D&D-Ablegern wird Fantasy mehr denn je zur Massenware. Was einst Subversion war, wird zum Paket. Zwischen Buffy-Boom, Romantasy-Formeln und pseudo-mittelalterlicher Stangenware verlieren viele Werke an Kante – und doch entstehen in den Nischen neue Schätze, die sich dem Mainstream verweigern.
Zwischen Widerspruch und Wandel
Fantasy in den 90ern ist ein Widerspruch in sich. Sie wird multikulturell und doch normiert. Subversiv und doch formelhaft. Visionär – und oft kitschig. Doch genau diese Spannungen machen sie so produktiv. Aus der Reibung von Markt und Magie, Kapitalismus und Kultur entsteht ein Genre, das sich bereit macht für den Sprung ins neue Jahrtausend.
Und irgendwo zwischen Hexen, Hackerinnen und halbgöttlichen Außenseitern baut sich langsam die nächste große Welle auf: Die Fantasy, die nicht nur verzaubern will – sondern verändern.
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