Fantasy erklärt: Metafantasy – Wenn Fantasy über sich selbst lacht, staunt und stolpert (Folge 10)

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Warum der Blick hinter die Kulissen oft der einzig wichtige Blick ist.

Es gibt Fantasy, die Welten baut.
Es gibt Fantasy, die Religion, Politik und Identität zerpflückt.
Und dann gibt es die Sorte, die sich umdreht, den Leser anschaut und fragt:
„Du weißt schon, dass wir uns das alles gerade ausdenken, oder?“

Willkommen im Spiegelkabinett der Fantastik. Metafantasy ist das Genre, in dem Geschichten wissen, dass sie Geschichten sind, in dem Helden über Plotstrukturen räsonieren und in dem Erzähler mit dir hinter der Bühne flüstern, während vorne noch die Schlacht tobt.

Es ist das stilvolle Schlussfeuerwerk, bei dem der Funkenregen genauso wichtig ist wie die Erkenntnis, dass das alles eine Inszenierung war und trotzdem verdammt echt wirkt.

Ein Fantasyautor sitzt am Schreibtisch, während geisterhafte Figuren aus seinen Seiten steigen und neugierig über seine Schulter schauen.
Autor sein, kann auch zur Bürde werden. Denn: Manche Figuren wollen nicht gespielt werden, sie wollen Regie führen.

1. Was Metafantasy überhaupt ist

Metafantasy ist Fantasy über Fantasy.
Sie stellt Fragen wie:

  • Wer erfindet das hier gerade?
  • Warum funktionieren Questen immer gleich?
  • Was passiert, wenn Figuren merken, dass sie Figuren sind?

Sie bricht den Illusionsvertrag nicht, um ihn zu zerstören, sondern um ihn sichtbar zu machen. Lesende sollen nicht aus der Welt fallen, sondern verstehen, wie sie gebaut ist.

Metafantasy ist also kein Gag am Rand. Sie ist eine Haltung.
Sie sagt: „Wir spielen hier mit Drachen und Göttern, aber wir wissen genau, was wir tun.“


2. Die Bühne, auf der alle Bescheid wissen

Die einfachste Form von Metafantasy ist der Erzähler, der sichtbar wird.
Nicht diese unsichtbare Stimme, die so tut, als wäre sie Luft, sondern ein Erzähler mit Meinungen, Seitenhieben und gelegentlichem Augenrollen.

Terry Pratchett lässt seine Scheibenwelt ständig kommentieren.
Er erklärt, wie Klischees funktionieren, warum Helden ausgerechnet jetzt den dramatischen Abgang haben und weshalb die Realität sich bitte an narrative Notwendigkeiten zu halten hat.

Neil Gaiman lässt in The Sandman Mythen, Märchen und Comiclogiken übereinanderstapeln, bis klar wird: Geschichten sind Figuren, sie reden miteinander, sie verhandeln ihre eigenen Regeln.

Metafantasy zeigt dir die Kulissen, ohne die Magie auszuschalten.
Sie führt dich hinter den Vorhang und flüstert: „Siehst du? Alles Pappe. Aber pass auf, gleich kommt trotzdem ein Drache.“


3. Figuren, die merken, dass etwas nicht stimmt

Die spannendste Variante: Figuren spüren, dass sie Teil eines Textes sind.
Sie bemerken:

  • dass das Schicksal auffällig gut getaktet ist,
  • dass Zufälle nur auftreten, wenn der Plot sie braucht,
  • dass der Tod nie in Kapitel eins kommt, egal wie knapp es wird.

Jasper Fforde lässt seine Protagonistin in Bücher einsteigen. Michael Ende macht in Die unendliche Geschichte den Leser zum Teil des Textes.
An diesem Punkt verschmelzen Leserrolle und Heldenreise. Du bist nicht mehr nur Zuschauer, sondern mitverantwortlich.

Metafantasy fragt:
Was ist freier Wille, wenn jemand anderes die Kapitel schreibt?
Und warum fühlt sich erfundener Schmerz so echt an?


4. Genre als Spielplatz, nicht als Käfig

Metafantasy liebt Tropes.
Sie hasst sie nicht, sie zerstört sie nicht. Sie benutzt sie wie Bausteine, um daraus etwas Neues zu bauen.

Die klassische Heldenreise wird zum bewusst eingesetzten Muster.
Das Auserwählte Kind weiß, dass es ein Auserwähltes Kind ist und findet das eher unangenehm.
Der dunkle Herrscher kennt seine eigene Rolle als Endgegner und fragt sich, ob der Jobwechsel in eine Midlife Krise mündet.

So entsteht ein doppelter Effekt.
Du bekommst immer noch epische Fantasy mit Questen, Prophezeiungen und Schwertgezeter. Gleichzeitig läuft im Hintergrund ein zweiter Text, der fragt:
„Warum erzählen wir uns das in dieser Form? Wem nützt das? Und was wäre, wenn wir ausbrechen?“


5. Wenn Welten wissen, dass sie erfunden sind

Der nächste Eskalationsgrad: Nicht nur Figuren, sondern ganze Welten haben Bewusstsein über ihre Künstlichkeit.

  • Geschichten, die nur existieren, solange jemand an sie glaubt.
  • Götter, die kleiner werden, wenn ihre Epen aus der Mode kommen.
  • Reiche, deren Geografie sich nach Genreschemata faltet.

Metafantasy macht damit etwas sichtbar, das in jeder Fantastik ohnehin steckt:
Welten hängen am seidenen Faden der Aufmerksamkeit.
Sobald du die Seite schließt, steht die Zeit still. Sobald du weiterliest, läuft der Kosmos weiter, als wäre nichts gewesen.

Diese Erkenntnis ist zugleich melancholisch und grandios.
Melancholisch, weil klar wird, wie zerbrechlich das alles ist.
Grandios, weil du mit jedem Umblättern Gott spielst.


6. Warum Metafantasy keine Spaßbremse ist

Der Vorwurf liegt auf der Hand:
Wenn alles reflektiert ist, bleibt doch kein Platz mehr für echte Emotion, oder?

Doch, und zwar gerade dann.
Metafantasy funktioniert am besten, wenn sie nicht nur klug, sondern ehrlich ist.

Sie sagt nicht: „Ha ha, alles nur Quatsch.“
Sie sagt: „Wir wissen, dass es Quatsch ist, und trotzdem hängen unsere Herzen daran.“

Das ist der Kern des Ganzen.
Metafantasy entzaubert nicht, um zu zerstören, sondern um tiefer zu verzaubern.
Sie zeigt dir die Drähte, damit du umso mehr staunst, wenn die Marionetten zu tanzen beginnen.


7. Metafantasy als Liebeserklärung an das Genre

Am Ende ist Metafantasy nichts anderes als eine sehr bewusste Form von Fanliebe.
Sie kennt jedes Klischee, jede Abkürzung, jede bequeme Erzählung.
Sie nimmt sie auseinander, setzt sie wieder zusammen und sagt:
„Hier, so könnte es auch gehen.“

Sie richtet sich an Leser, die nicht nur wissen wollen, was in der Geschichte passiert, sondern auch, warum es genau so passiert.
An Leute, die bereit sind, gleichzeitig in der Welt und über der Welt zu schweben.

Metafantasy ist der Moment, in dem Fantasy kurz in den Spiegel schaut und sich eingesteht:
„Ich bin völlig übertrieben, maßlos und manchmal albern.
Aber genau deshalb brauchst du mich.“

Eine riesige Bibliothek voller schwebender Buchstaben und leuchtender Folianten, in der Gelehrte uralte Sprachen erforschen.
Metafantasy ist: Wenn der Drache nur Leinwand ist, aber das Lampenfieber trotzdem echt bleibt.

📚 Externer Lesetipp

Michael Ende – Die unendliche Geschichte
Ein Klassiker, der aus dem Lesen selbst eine Quest macht. Ein Junge, ein Buch, eine Welt, die nur weiterlebt, wenn jemand sie liest. Metafantasy in Reinform, poetisch, melancholisch und bis heute eine der klügsten Liebeserklärungen an Geschichten überhaupt.


Epilog: Vorhang zu, Welt bleibt offen

Damit ist unser Grundkurs am Ende.
Wir haben Welten gebaut, Magiesysteme zerlegt, Subgenres entwirrt, Völker, Religion und Sprache durch die Mangel gedreht und am Schluss die Bühne selbst untersucht.

Die vielleicht wichtigste Erkenntnis aus all dem lautet:
Fantasy ist kein Fluchtloch, sie ist ein Labor.
Sie erlaubt dir, Wirklichkeit in einem anderem Licht zu betrachten, mit anderen Begriffen, mit Drachen am Rand und Göttern im Hintergrund.

Und egal, wie sehr wir analysieren, sortieren oder sezierend nachfragen, eins bleibt:
Solange jemand ein Buch aufschlägt, entsteht eine Welt.
Und irgendwo, im Schatten einer nicht existierenden Lampe, sitzt eine Figur, hebt den Kopf und sagt:

„Ach, du bist wieder da. Dann können wir weitermachen.“


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