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Bruder Malric roch den Weihrauch, bevor er das Tor erreichte.
Ein süßlich stechender Dunst lag über dem silbernen Hain – zu süß, zu rein, als dass irgendetwas Natürliches damit zu tun haben konnte.
„Du bist spät“, sagte die Wächterin.
Sie trug eine Maske aus Blattgold, so dünn, dass man ihre Lippen darunter zucken sah. Hinter ihr ragten die Türme der Abtei wie speerförmige Dornen in den grauen Himmel. Malric neigte den Kopf, wie es sich gehörte. Er war ein Schreiber aus dem Südkloster. Er schrieb Bücher über Heilige. Er wusste, wie man sich an einem solchen Ort zu verhalten hatte. Er wusste, dass er hier war, weil er immer hier sein wollte. In seinen Träumen hatte er diese Mauern schon so oft gesehen.
„Ich wurde gerufen“, sagte er.
„Nicht du. Nur dein Schatten.“
Sie musterte ihn mit seltsam starrem Blick. Dann führte sie ihn hinein.
Die Elfen waren anders hier in diesen Gemäuern.
Nicht jene gefälligen Naturwesen aus den Geschichten, die er kannte. Sie waren blasse, stoische Kreaturen mit Haut wie Alabaster und Augen, die wirkten, als hätten sie das Tageslicht vor Jahrhunderten verbannt.
Malric wurde in eine Kammer geführt. Dort wartete Luminarch Virellas – der Hohe Reinheitswächter.
„Die Welt ist krank“, sagte Virellas. „Und Worte sind die Seuche, die sie töten werden. Doch das werden wir nicht dulden.“
Er ließ sich das sagenhafte Buch der Stummen Psalmen bringen. Ein Buch ohne Schrift, angeblich gebunden in die Gesichtshaut der letzten Unschuldigen. Die Seiten waren leer, aber Virellas las trotzdem daraus – mit einer Stimme, die klang wie in Öl getränkte Dornen.
„Eure Schrift verdirbt die Wahrheit. Eure Lieder verunreinigen die Luft. Eure Namen – sind nur schmutzige Flecken.“
Malric schwieg.
Das rettete ihn.
Die Zeremonie war einfach und in ihrer Grausamkeit unerbittlich.
Ein Bad in heißer Flüssigkeit, die nach Tod und wilden Dornensträuchern roch.
Ein Brennstab auf die Zunge – um sie zu versiegeln.
Ein Spiegel, um sich selbst zum letzten Mal zu sehen.
Er ließ es über sich ergehen – kein Wort, kein Schmerzensschrei. Es war sein Schicksal und er hatte es längst schon angenommen.
Dann wurde ihm ein Titel gegeben: Der Stille Zeuge.
Und so wurde er Teil des Konzils.
Die Tage vergingen. Malric lernte. Beobachtete. Schrieb.
Heimlich. Mithilfe eines kleinen Messers, das er stets versteckt in seinem rechten Stiefel mit sich nahm. Weil die Zeiten waren, wie sie nun einmal waren.
Er schnitzte Worte in die Innenseite seiner Holzschale, in seine Bettpfosten, in die Rückseite der elfenbeinfarbenen Reinheitsmasken. Was er sah, war nichts anderes als entfesselter Wahnsinn.
Die Elfen beteten zu einem Licht, das niemand je gesehen hatte.
Sie glaubten, die letzte Wahrheit liege in der vollständigen Tilgung allen Menschlichen.
Sie verfluchten den Körper – und konservierten ihn. Menschen wurden lebendig mumifiziert, eingewickelt in Segenstücher, die mit duftenden Harzen bestrichen waren.
„Sie sind geheiligt“, erklärte Virellas. „Sie leben, ohne zu sündigen, weil sie keine Worte mehr formen.“
Dann kam der Tag der Erhebung.
Malric wurde in den großen Hallenschrein gerufen. Dutzende „Zeugen“ standen dort – stumm, eingerollt, atmend durch Schläuche. Ein Mädchen stand an der Wand. Noch nicht mumifiziert. Aber mit offenen Augen. Ihre Lippen zitterten. Und ihre Augen leuchteten als bestünde sie aus geschmolzenem Gold. Damit galt sie dem Rat als überführte Ketzerin – denn dieses Leuchten war für sie nicht göttlich, sondern dämonisch. Doch Malric wusste es besser.
Virellas hob die Hand.
„Malric, du wirst dies niederschreiben. Ihre letzten Gedanken. Bevor wir die Menschenhexe endgültig reinigen.“
Etwas in ihm zerbrach und plötzlich erinnerte er sich an den Traum und den wahren Grund, warum er hier war.
Er trat vor.
Und sagte – zum ersten Mal seit Wochen – ein Wort. Schmerzhaft und brennend auf seiner entstellten Zunge.
„Nein.“
Und doch halte der Laut wie ein Donnerschlag durch die Halle.
Virellas zuckte zurück.
Malric zückte sein Messer. Klein gewiss, kaum zum Kampf geeignet – aber stets geschärft.
Er war kein Held. Er war ein Mönch. Ein Schreiber.
Und er stach die Klinge direkt in Vireallas Hals.
Das Blut des höllischen Elfenpriesters floss, reinigend auf seine Weise und die Elfen heulten unter Pein auf, als ihr Anführer zusammenbrach.
In all dem Chaos befreite er das Mädchen. Gemeinsam flohen sie schließlich.
Und die Halle brannte in der Nacht.
Epilog:
Man sagt, die Abtei des Lichts sei heute nur noch Ruine.
Einst habe ein mutiger Mönch hier die Tochter der Schöpferin gerettet.
In manchen Nächten sieht man eine Schale auf dem Altar liegen.
Darauf eingeritzt, in brüchigen Buchstaben:
„Worte sind Schatten. Und Schatten sind Wahrheit.“

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