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In den Nebeltälern von Ruwenhall liegt das Dorf Elgenroth, ein Ort wie aus der Zeit gefallen. Die Felder tragen dort selbst in trockenen Sommern Frucht, das Wasser ist klar wie Glas, und die Alten sterben nicht. Nicht seit jener Nacht vor dreihundert Jahren, als eine schwarze Krähe kam und sich auf den Kreuzstein am Rande des Dorfes setzte. Seitdem, so sagt man, ist die Stimme des Todes verstummt.
Der Kreuzstein selbst ist alt, sehr alt. Niemand weiß mehr, wer ihn errichtet hat. Er steht auf einem Hügel oberhalb des Dorfes, mit verwitterten Runen und moosbedeckten Kanten. Die Krähe sitzt stets auf der Spitze des Kreuzes, die Augen dunkel wie Tinte, das Gefieder so schwarz, dass selbst das Licht darin zu verschwinden scheint. Jeden Morgen, wenn der Nebel sich lichtet, ist sie da.
Bis zu jenem Tag.
Es war ein Morgen im Erntemonat Frieling, sagen die Leute, als sie verschwunden war. Einfach fort. Kein Krächzen, kein Federflug, nichts. Nur der leere Stein und das leise Rascheln des Windes im Korn. Zuerst hielt man es für ein Omen, dann für ein vorübergehendes Problem. Die Krähe, so war man sich sicher, würde bald schon zu ihnen zurückkehren. Doch am Abend erschien der erste Name.
Er stand in rußschwarzer Schrift an der Tür des alten Schmieds. Albrik Thorn. Ein Greis, zäh wie Eichenrinde, fast neunzig Sommer alt und immer noch von mächtiger Statur. Die Buchstaben liefen zäh wie Blut über das Holz. Noch bevor die Glocke Mitternacht schlug, war er tot.
Am nächsten Tag: zwei weitere Namen. Dann fünf. Dann acht. Der Tod fuhr nun reiche Ernte ein.
Die Menschen begannen, ihre Türen zu verbarrikadieren, die Namen abzuwaschen, Kreidezeichen dagegen zu malen, uralte Beschwörungen zu flüstern. Nichts half. Die Namen kehrten zurück, so sicher wie die langen Schatten vor dem Sonnenuntergang. Manche versuchten zu fliehen. Doch der Wald schloss sich und seltsam wucherndes Unterholz versperrte jeden Weg. Andere baten den Priester um Hilfe. Doch der fand schon kurze Zeit später seinen eigenen Namen auf dem Altar.
Und so kam Todesangst auf. Eine Angst, die um so schlimmer war, da man in Elgenroth den Tod selbst lange vergessen hatte.
Nur eine blieb ruhig: Maretha, die blinde Hüterin des Dorfbuchs. Sie hatte die Chronik Elgenroths geführt, seit sie ein Kind war, und in ihrem Gedächtnis bewahrte sie Geschichten, die selbst die Ältesten vergessen hatten. Geschichten von einem Pakt. Von der Krähe. Vom „Schattenhandel“ – einem Opfer für eine Generation Leben.
Sie rief die letzten verbliebenen Alten zu sich. Gemeinsam am frühen Morgen auf den Hügel. Dort, wo der Stein stand. Und wo jetzt nur der Abdruck zweier Krallen im Tau zu sehen war.
Maretha sprach keine Worte. Sie kniete. Und begann zu singen.
Ein Lied, das niemand mehr kannte. Ein Lied, das ganz und gar aus Erinnerungen geformt war. Ein Lied, das die Krähe einst hörte, bevor sie sich entschied zu bleiben.
Und als die Nacht sich senkte, kam ein Laut aus der Dunkelheit. Kein Flügelschlag. Kein Krächzen. Ein einziges, langsames Klacken von Krallen auf Stein.
Am Morgen saß sie wieder da.
Die rußschwarzen Namen verschwanden. Der Tod ging endlich wieder am Dorf vorüber.
Aber in Marethas Haus blieb eine einzige Tür offen. Kein Name stand daran geschrieben. Doch die alte Chronistin war verschwunden.
Und das Dorf schwieg.
Seitdem hängt an der Innenseite jeder Tür in Elgenroth ein kleines schwarzes Federchen. Zur Erinnerung. Oder als Warnung. Niemand kann es mehr genau sagen.

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