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Es hieß, er käme stets nur während der Dämmerung.
Nicht bei Tag, nicht bei Nacht – sondern zu einer bestimmten Zeit in jener grauen Stunde dazwischen, wenn Schatten noch nicht schlafen und das Licht bereits mit seinen Täuschungen beginnt.

Niemand hatte ihn je gefunden. Aber fand jeden.
Er fand sie immer dann, wenn sie alles zu verlieren hatten.

Und er fand Talian, als dessen Tochter im Sterben lag.
Das Fieber hatte sich in sie hineingefressen wie schwelender Rauch. Ihre Haut war pergamentdünn geworden, die Lippen vollkommen leer von Blut. Die Heilerin ihres Dorfes hatte nur den Kopf geschüttelt.

Da stand er plötzlich im Türrahmen.
Eine schlanke, hohe Gestalt. In einen staubgrauen Mantel gehüllt. Ein Gesicht, das man in dem Augenblick vergaß, als man es erblickte.

„Ich kann sie retten“, sagte er, mit einer Stimme die weder jung noch alt war.
Sie hätte jedermann gehören können.
Er fuhr fort.
„Ich will dafür nichts von dir, das du noch brauchen wirst.“

Talian verstand nicht.
„Was willst du dann? Gold habe ich nicht. Nur mein Blut kann ich dir geben.“

Der Nehmer lachte.
„Behalte dein Blut. Ich will Erinnerungen. Nur eine einzige. Die, an deinen ersten Kuss. Dafür gebe ich deinem Kind ein Jahr.“

Talian zögerte. Doch wie lange kann man zögern, wenn das eigene Kind stirbt?
Schließlich willigte er ein.

Seine Tochter überlebte die Nacht und den nächsten Tag. Am dritten Tag lächelte sie sogar. Und sie wurde wieder gesund.
Und Talian… vergaß, warum er bei Regen immer an Nelia denken musste.
Er wusste noch ihren Namen. Aber er erinnerte sich nicht mehr an ihr Gesicht. Nicht an diesen Moment. Nicht an das Zittern ihrer beider Hände.

Ein Jahr verging.

Sein Kind zeigte erste Symptome der alten Krankheit.
Und der Nehmer kam wieder.
„Noch ein Jahr?“, fragte er.
„Für eine andere Erinnerung. Deine erste Jagd mit deinem Vater. Nur ein kleiner Tausch.“

Talian begann zu weinen. Doch er stimmte zu.
Und wieder wurde seine Tochter gesund.

So ging es weiter.
Ein Jahr nach dem anderen.
Eine Erinnerung nach der anderen.

Am Ende konnte Talian kaum noch sprechen.
Er kannte den Namen seiner Tochter, hatte aber längst vergessen, wie alt sie war.
Er sah die Sonne, aber wusste nicht mehr, warum sie ihn einst so erfreut hatte.
Er lachte nie. Weinte nie. Er war in seinem Inneren vollkommen leer.

Als der Nehmer zum letzten Mal kam, sagte er nichts.
Er reichte ihm nur die Hand.
Talian nickte.

Seine Tochter wachte am nächsten Morgen auf. Gesünder als je zuvor. Voller Kraft.
Aber ihr Vater saß still auf der Bank vor dem Haus.

Er atmete noch. Aber er war endgültig gegangen.

Er hatte dem Nehmer seine letzte Erinnerung gegeben.

Die Erinnerung daran, dass er nichts auf der Welt mehr liebte als sein Kind.

Epilog:

Man sagt, der Nehmer komme nie zweimal zu jemandem, der nein sagt.
Aber jeder, der ihn einlässt, wird ihn je wieder aussperren können.

Ein gesichtsloser Fremder in zerschlissenem Umhang steht vor einer einsamen Hütte im Zwielicht. Aus der Tür schaut eine Frau in Sorge, während hinter dem Fremden ein toter, knorriger Baum in den Nachthimmel ragt. Die Szene wirkt unheilvoll und still – wie ein Augenblick kurz vor einem grausamen Handel.

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