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An jenem Morgen, als Liva die Muschel fand, war das Meer so glatt, dass man die Wolken darauf wie in einem Spiegel betrachten konnte. Ihr kleines Fischerboot glitt durch einen Nebel aus Licht, die Netze dabei so leer wie ihre Gedanken. Es war ein Morgen ohne jede Geschichte – bis sie die Muschel entdeckte.

Sie lag zwischen anderen Muschelschalen, so wie jene, die sie schon hundertmal sinnlos aus dem Wasser gezogen hatte. Doch diese war anders: durchsichtig wie das Wasser selbst, schillernd wie der Glanz eines Traums, an den sich niemand mehr erinnern kann. Und als Liva sie ans Ohr presste, hörte sie nicht das Meer, sondern eine Sprache, die sie nie gelernt, aber immer zu kennen geglaubt hatte.

In der Nacht begann der Gesang.

Die Muschel lag auf dem Holzregal ihrer Hütte, eingewickelt in ein Tuch. Doch gegen Mitternacht begann sie zu pulsieren. Kein Licht – eher eine Erinnerung an Licht, das längst nicht mehr geschienen hatte, kaum mehr als ein schwach leuchtendes Echo.

Und dann – die Stimme.

Kein Lied, kein Klang – sondern etwas, das in jedem Ton Bilder und Gefühle beschwor, als würde sie sich rückwärts durch die Zeit bewegen:

– Kyel, ihr Bruder, stehend in einem Boot, das er noch nicht besaß, während Wellen wie Finger an den Rumpf schlugen.
– Ein Mädchen, ertrinkend, mit offenen, blauen Augen – in einem Dorf, das in ihrer Kindheit niederbrannte.
– Sie selbst, in völliger Stille unter Wasser, ein Riff aus Knochen und Metall umklammernd, das sang wie eine geöffnete Kehle.

Als sie erwachte, bluteten ihre Ohren.

Am nächsten Morgen warf sie die Muschel ins Meer.
Am übernächsten fand sie sie in ihrem Boot.
Am dritten Tag lag sie in ihrer Hütte, tropfend salzig auf dem Fenstersims.
Und ihr linker Zeigefinger war taub.

Sie suchte Hilfe bei den Ältesten des Fischerdorfes. Doch die lachten nur – „Du hast den Atem der Yithir gehört.“
Die Yithir waren legendäre Seefahrer vor der Zeit, die nicht nach Orten suchten, sondern nach Weissagungen ihrer Zukunft.
Man sagte, sie hätten solche Muscheln gezüchtet, um zur Welt des Morgens zu segeln. Doch was sie fanden, war keine Karte – sondern ein heulender Chor von Vorhersagen jeder möglichen Zukunft. Verwirrend, schmerzhaft, und alles anziehend.

Liva verstand:
Die Muschel warnte sie nicht.
Sie sang etwas herbei.

Und so segelte sie eines Morgens hinaus – allein, ohne Netz, nur mit der Muschel in der Hand.
Sie wollte wissen, was sie war.
Und was sie von ihr wollte.

Tage vergingen.

Am sechsten Tag hörte sie das Mädchen singen.
Am siebten sah sie Kyel in einem anderen Boot – im Nebel, wortlos und weinend.
Am achten senkte sich das Meer plötzlich ab.

Und dann sah sie es.

Das Riff.

Nicht aus Stein.
Nicht aus Koralle.
Aus Muscheln.
Hunderttausende.
Alle geöffnet.
Alle singend.
Ein Oratorium der unzählbaren Untergänge.

Und mitten darin:
etwas Unförmiges.
Ein silbrig glänzendes Wesen, nur noch schwach sich windend, sichtbar am Ende seiner Kräfte.
Und Liva erkannte, was es war.
Ein Geschöpf, das existierte, um die bösesten Geschichten zu übertönen, damit sie nicht gehört werden konnten.

Liva wusste: Wenn sie es herausfischte, würde sie verschwinden – als Mensch, als Name, als Erinnerung.
Doch wenn sie es nicht tat, würde der apokalyptische Gesang der Muscheln weitergehen – und die Katastrophen würden kein Ende nehmen.

Also warf sie das Netz.

Was sie herauszog, war kein Tier.
Es war eine Stimme, eingewickelt in eine silbern glänzende Hülle aus Tang und etwas Lebendigem.
Es hauchte mit seinem letzten Atemzug:

„Jetzt bist du das Lied.“


Epilog:

Man sagt, in klaren Nächten hört man manchmal eine Stimme vom Meer –
keine Sirene, kein Wind, sondern ein flüsterndes Lied aus Zukunft und Schmerz.

Die Fischer nennen es:
Liva.

Ein Gelehrter steht mit einer brennenden Fackel inmitten einer riesigen, halbverfallenen Bibliothek. Vor ihm materialisiert sich ein mächtiger, blau leuchtender Drache mit runenbedecktem Körper. Die Wände bestehen aus meterhohen Bücherregalen, über ihnen ein zersprungener Sternenhimmel. Magische, sprachgeborene Fantasy-Szene im Stil von Magic: The Gathering.

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