Das Konzil der Erhabenen

🔍 Suche im Fantasykosmos

Spüre verborgene Pfade auf, entdecke neue Werke oder durchstöbere das Archiv uralter Artikel. Ein Wort genügt – und der Kosmos öffnet sich.


Bruder Malric roch den Weihrauch, bevor er das Tor erreichte. Ein süßlich stechender Dunst lag über dem silbernen Hain – zu süß, zu rein, als dass irgendetwas Natürliches damit zu tun haben konnte.

„Du bist spät“, sagte die Wächterin.

Sie trug eine Maske aus Blattgold, so dünn, dass man ihre Lippen darunter zucken sah. Hinter ihr ragten die Türme der Abtei wie speerförmige Dornen in den grauen Himmel. Malric neigte den Kopf, wie es sich gehörte. Er war ein Schreiber aus dem Südkloster, hierhergesandt, um die heiligen Riten zu dokumentieren. Zumindest glaubte er das.

„Ich wurde gerufen“, sagte er.

„Nicht du. Nur dein Schatten.“

Die Elfen hier waren anders als in den Geschichten. Bleich wie Alabaster, mit Augen, die das Tageslicht vor Jahrhunderten verbannt zu haben schienen. Sie bewegten sich lautlos, sprachen nur in Flüstertönen – als wäre jedes Wort eine Sünde.

Malric wurde vor Luminarch Virellas geführt, den Hohen Reinheitswächter.

„Die Welt ist krank“, verkündete Virellas mit einer Stimme wie in Öl getränkte Dornen. „Worte sind die Seuche, die sie vergiftet. Aber das werden wir heilen.“

Er zeigte Malric das Buch der Stummen Psalmen – leere Seiten, aus denen er trotzdem las. „Eure Schrift verdirbt die Wahrheit. Eure Namen sind schmutzige Flecken auf der Reinheit der Schöpfung.“

Die Zeremonie war grausam in ihrer Einfachheit. Ein Bad in heißer Flüssigkeit, die nach Tod roch. Ein Brennstab auf die Zunge. Ein neuer Titel: Der Stille Zeuge.

Malric ertrug es schweigend. Er hatte keine Wahl, oder glaubte, keine zu haben.

Die Tage vergingen. Malric lernte die Wahrheit über diesen Ort.

Die Elfen beteten zu einem Licht, das niemand je gesehen hatte. Sie glaubten, Erlösung liege in der vollständigen Tilgung allen Menschlichen. In den unteren Kammern standen die „Geheiligten“ – Menschen, lebendig mumifiziert, eingewickelt in duftende Tücher, atmend durch Schläuche.

„Sie leben ohne zu sündigen“, erklärte Virellas stolz. „Keine Worte mehr. Keine unreinen Gedanken.“

Heimlich begann Malric zu schreiben. Mit einem kleinen Messer ritzte er Worte in Holz, in Stein, überall wo niemand hinsah. Was er dokumentierte, war Wahnsinn – aber er war noch immer ein Schreiber. Worte waren alles, was ihm geblieben war.

Dann brachten sie das Mädchen.

Sie war vielleicht vierzehn, mit Augen wie flüssiges Gold. Die Elfen nannten es dämonisches Feuer, ein Zeichen der Verdammnis. Aber Malric sah etwas anderes darin – einen Funken, der sich weigerte zu erlöschen.

„Sie ist die Letzte ihrer Art“, flüsterte Virellas. „Ein Kind der alten Macht. Wenn wir sie reinigen, ist unser Werk vollendet.“

Das Mädchen stand da, stumm vor Angst, und ihre leuchtenden Augen suchten verzweifelt nach einem freundlichen Gesicht. Als sie Malric ansah, brach etwas in ihm auf: Eine Erinnerung an das, was er einst gewesen war, bevor sie ihm die Zunge versiegelten.

In dieser Nacht schnitzte er nur ein Wort in seine Bettkante: Genug.

Am nächsten Tag führten sie das Mädchen zur Zeremonie.

Virellas hob die Hand. „Du wirst dies niederschreiben, Malric. Ihre letzten Gedanken, bevor wir die Ketzerin endgültig läutern.“

Malric stand da, das kleine Messer schwer in seiner Hand. Er dachte an all die Worte, die er verloren hatte. An all die Geschichten, die er nie mehr würde erzählen können. An die stummen Gestalten in den Kammern, die einst Menschen gewesen waren wie er.

Das Mädchen sah ihn an. Ein letztes Mal.

Er trat vor und sagte – zum ersten Mal seit Wochen – ein Wort. Es brannte wie Feuer auf seiner entstellten Zunge:

„Nein.“

Der Laut hallte durch die Halle wie ein Donnerschlag.

Virellas zuckte zurück, ungläubig. „Unmöglich. Du bist versiegelt. Du kannst nicht –“

Malric stieß ihm das Messer in die Kehle. Klein, aber scharf genug. Das Blut des Luminarch floss rot über das weiße Gewand, und die Elfen heulten auf, als ihr Anführer zusammenbrach.

Im Chaos befreite er das Mädchen. Gemeinsam flohen sie durch brennende Gänge.

Hinter ihnen loderte die Abtei des Lichts.

Epilog:

Man sagt, die Ruinen stehen noch immer im silbernen Hain. Manchmal findet man dort eine alte Holzschale, mit brüchigen Buchstaben eingeritzt:

„Worte sind Wahrheit. Schweigen ist Tod.“

Und die, die es lesen können, erinnern sich daran, dass manche Stimmen zu wichtig sind, um sie verstummen zu lassen.

Eine schwarze Krähe sitzt auf einem moosbedeckten Kreuzstein inmitten eines nebligen Dorfes mit alten Reetdachhütten. Herbstlaub liegt auf dem Boden, während der Nebel zwischen den Hütten hängt – eine düstere, unheilvolle Stimmung liegt über der Szene.

Dir hat diese Story gefallen? Du findest bei uns laufend neue Fantastic Shorts aus den Federn unserer Autoren. Du möchtest ein wenig mehr über die Geschichte hinter den Geschichten wissen: Dieser tolle Artikel über Fantasy öffnet dir die Augen.

Entdecke dein Serathianisches Horoskop!

Jede Woche aktuell & kostenlos