Die Sieben von Karvek

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Der Junge war blass. Viel Blut hatte er nicht mehr in sich. Dorell hielt ihm den Kopf, damit er nicht an seinem eigenen Erbrochenen erstickte.

„Erzähl mir was“, flüsterte der Junge.

Dorell zögerte. Dann schob er den Dolch wieder zurück in die Scheide.
„Na schön. Ich erzähl dir was. Von uns. Von den Sieben von Karvek.“

Der Junge blinzelte. „Die gibt’s doch gar nicht.“

„Tja“, sagte Dorell. „Doch. Aber… du hast Recht… wir hätten nie existieren dürfen.“

Wir waren sieben.
Verdammte Bastarde, allesamt. Keiner von uns hatte einen echten Namen. Nur Spitznamen, allesamt getauft in fremdem Blut.

Scharfzahn.
Die Brüder Rigg und Tagg.
Maelen die Stumme.
Feurich.
Ich.
Und Torgal.

Torgal war der Anführer. Der mit dem Vertrag. Und der Fluch begann in Hargom.

Ein Nest, das einfach nicht zahlen wollte.

Sie hatten einen Götterstein – so nannten sie ihn – auf dem Dorfplatz. Alt, mit Rissen. Sie sagten, er schütze sie. Gegen Seuchen. Gegen Reiter. Gegen solche wie uns.

Torgal spuckte drauf.

Dann schlachteten wir das halbe Dorf. Nicht, weil wir’s mussten. Einfach nur, weil wir wussten, dass sie nichts dagegen tun konnten.

Als wir am Abend das Lager aufschlugen, roch das Feuer nach verbranntem Menschenfleisch. Und Maelen sagte kein Wort mehr – seit sie das kleine Mädchen erstochen hatte, das sie doch so sehr an ihre Tochter erinnert hatte.

Am nächsten Morgen fehlte Tagg. Wir fanden ihn kopfüber in einem Brunnen, das Maul voller Asche.

Dann ging’s richtig los.

„Ein Fluch?“, flüsterte der Junge.

„Nicht so einer mit Geistern und heulenden Seelen. Etwas viel Schlimmeres. Logisch. Hart. Unbarmherzig.“

Wir bluteten. Dabei hatten wir keine Wunden.

Wir schliefen – und wachten mit Namen ins Fleisch geritzt auf. Namen von Leuten, die wir getötet hatten. Ich konnte lesen. Deshalb wusste ich, was da stand. Deshalb traf es mich härter als die anderen.

Torgal hatte das Lesen nie gelernt. Er sagte, das sei Einbildung. „Krieg ist Krieg“, meinte er.
Doch Feurich versuchte sich vor unseren Augen die Haut abzuziehen.
Um diese Namen auszulöschen.
Maelen ritzte sich eine Spirale ins Gesicht.
Und lachte dabei wie ein kleines Mädchen.
Und Scharfzahn – der Bastard und immer der Härteste von uns – redete plötzlich über Vergebung
.

Vergebung! Man muss sich das vorstellen.

Der Junge würgte. Dorell gab ihm einen letzten Schluck aus dem Wasserschlauch. Es war nicht viel drin. Es war nie genug.

„Und?“, fragte der Junge. „Was ist mit dir?“

Dorell sah zu den anderen.
Was von ihnen übrig war, lag im Schatten des ausgebrannten Turms. Vier Leiber, zwei ohne Kopf, einer verbrannt, ohne Nase und mit gehäutetem Gesicht.

„Ich bin der Letzte. Ich hab nicht besser gekämpft als die anderen. Nicht mutiger. Ich hab nur länger gebraucht zu verstehen, was wir getan hatten. Und als ich’s endlich verstand, waren alle anderen schon tot.“

Am achten Tag nach Hargom kamen wir nach Karvek. Ein goldreicher Ort, sagten sie. Eine Stadt mit sieben Toren und dicken Mauern. Doch schon von weitem wirkte etwas falsch. Keine Rauchsäulen. Keine Geräusche. Als wir die Tore erreichten, war Karvek leer.

Kein Mensch. Nicht mal ne verhungerte Katze. Kein Wind heulte.

Nur ein Spiegel, mitten auf dem Marktplatz.
Als wir hineinsahen, war darin keiner von uns zu sehen.

Nur sieben Schatten.
Und hinter uns – unser altes Lager. Der Götterstein.
Die Stadt Hargom, wie wir sie zerstörten.
Und wie sie uns beobachtete.

Von da an starben wir. Einer nach dem anderen. Scharfzahn erstickte an seinem eigenen Blut – wie die alte Frau, der er die Kehle aufgeschlitzt hatte. Feurich verbrannte bei lebendigem Leib. Tagg ertrank in seinem eigenen Erbrochenen. Jeder starb so, wie er selbst getötet hatte. Und jeder wusste es, bevor es geschah.

„Und du?“, fragte der Junge. „Wirst du auch sterben?“

Dorell nickte. „Sicher. Aber vielleicht nicht heute.“

Er legte den Jungen sanft zurück.
Spürte, wie der letzte Rest Leben zitternd aus ihm wich.
Dann zog er den Dolch wieder.
Nicht, um den Jungen zu töten.

Um zu schreiben. Letzte Worte. Warum, wusste er nicht.

In den Steinboden, direkt neben dem sterbenden Jungen, ritzte er mit letzter Kraft:
„Wir waren sieben.
Ich bin übrig.
Vergebung.“

Dann legte er den Dolch beiseite und wartete darauf, dass auch sein eigener Fluch ihn einholte.
Er wusste: Es war nur eine Frage der Zeit.

Eine schwarze Krähe sitzt auf einem moosbedeckten Kreuzstein inmitten eines nebligen Dorfes mit alten Reetdachhütten. Herbstlaub liegt auf dem Boden, während der Nebel zwischen den Hütten hängt – eine düstere, unheilvolle Stimmung liegt über der Szene.

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