Bevor es Magiesysteme gab, Beutel mit Gold und Exp-Punkte, gab es: Geschichten über Götter, Drachen und Helden, die mit dem Tod rangen und mit den Sternen stritten. Noch bevor irgendwer das Wort „Fantasy“ erfand, war das Erzählen von fantastischen Dingen der ernsthafteste Job, den eine Kultur zu vergeben hatte.
Willkommen bei den Ursprüngen. Dies ist das Kapitel, in dem wir die Urmutter aller Fantasy besuchen: den Mythos.

Von Gilgamesch bis Ragnarök
Ob Mesopotamien, Griechenland oder Island – die ältesten Texte der Menschheit sind fantastisch. Der babylonische Gilgamesch kämpft gegen Monster, sucht nach dem ewigen Leben und redet mit Göttern. Homer lässt Odysseus über verfluchte Inseln irren, gegen Zyklopen bestehen und mit Toten parlieren. Vergil erklärt den Gründungsmythos Roms mit einem Helden, der durch die Unterwelt reist und den Willen der Götter trägt.
All das sind keine historischen Romane. Es sind keine Dramen. Es ist: Fantasy avant la lettre. Also, wenn man den Klugscheißmodus für einen Moment pausiert: Es ist ein Vorgänger, eine frühe Form dessen, was wir heute als Fantasy bezeichnen.
Und dann kommt er – nämlich der Beowulf. Wahrscheinlich das bekannteste Werk früher Heldendichtung im nordischen Raum. Ein Mann, ein Monster, ein Drache – und eine Welt, in der der Tod fast immer mitfeiert. „Beowulf“ war Pflichtlektüre für Tolkien – wortwörtlich. Er lehrte das Werk in Oxford, formte daraus seine ganze Welt.
Götter sind keine Statisten
In frühen Mythen sind Götter keine metaphysischen Ideen, sondern echte Figuren, die mitmischen. Sie schlafen mit Held:innen, zetteln Kriege an, verfluchen, retten, vernichten. Und genau dieses Motiv ist eine der Grundlagen moderner Fantasy. Ein paar Beispiele für dich?
- Der allgegenwärtige Gottkaiser bei Warhammer.
- Die „Neuen Götter“ in American Gods von Neil Gaiman.
- Die archaische Götterwelt in Brandon Sandersons Cosmere.
Ob du nun Thor in der Edda liest oder Melkor im Silmarillion: Fantasy denkt in Göttern, weil sie Macht, Ursprung und Hybris zugleich verkörpern.
Der Held als Problem?
Frühe Helden sind keine strahlenden Ritter. Gilgamesch ist ein Tyrann. Beowulf stirbt am Ende. Herakles begeht mehrere Massaker. Die Ursprungshelden sind ambivalente Figuren, häufig von Gewalt, Ehre und Schicksal gezeichnet.
Die moderne Fantasy übernimmt das. Wer heute von „der Heldenreise“ redet, meint oft ein ziemlich ruppiges Ding: Vom Bauernjungen zum Auserwählten, klar – aber meistens mit Blut, Trauma und Reue.
Und manchmal ist der Held der eigentliche Fehler im System.
Von Saga zu Seitenzahl
Die nordischen Sagas – etwa die Werke von Snorri Sturluson – sind bis heute eine Goldgrube für Fantasy-Schaffende. Drachen, Runen, sprechende Schwerter, Flüche, Ahnen und das Wissen, dass das eigene Ende bereits geschrieben ist (Hallo, Ragnarök!).
Besonders in den Werken von William Morris (einer Art Proto-Tolkien), später bei Eddison, Dunsany, Tolkien selbst oder bei Robert E. Howard ist diese mythologisch aufgeladene Welt der Ursprung des ganzen Genres.
Und es ist kein Zufall, dass so viele moderne Werke wie „The Witcher“ oder „Hellblade“ sich wieder explizit auf alte Mythen berufen. Es liegt einfach daran, dass sie so gut funktionieren. Sie sitzen tief, wir erinnern uns an sie und wir haben früh gelernt, dass Drachen viel mehr sind als lediglich coole Bossgegner.
Fazit:
Fantasy ist nicht aus Versehen entstanden. Sie ist die literarische Erbin der Mythen, Sagen, Göttergeschichten und Heldensagen. Wer heute Fantasy schreibt, baut auf einem Fundament aus Tausenden von Jahren erzählter Magie.
Und manchmal steht da halt eben auch mal ein Drache – ganz am Anfang.
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